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16 December 2011 · Source: SafeTRANS News · Download PDF

Einheitliche Förderrichtlinien in den Ländern können das Abwandern von Ideen in Projekte verhindern




Prof. Rolf Ernst, TU Braunschweig, über einen neuen Blick auf zukünftige Forschungsförderung und Schwerpunkte bei Architekturprinzipien 

In Zukunft werden deutlich mehr Geräte das Internet nutzen als Menschen. Das Potenzial dieser Vernetzung, bei der Embedded Systems (ES) eine entscheidende Rolle spielen, bietet enorme Anwendungsmöglichkeiten, z.B. bei der Energieverteilung, medizinischen Betreuung und sicheren Mobilität. Noch sind viele der möglichen Anwendungen Zukunftsmusik. Doch gerade jetzt ist es notwendig, sich mit der Entwicklung zukünftiger ES auseinanderzusetzen. Dazu hat Professor Rolf Ernst konkrete Vorstellungen was die Forschungsthemen als auch die Forschungsförderung betrifft.


Herr Prof. Ernst, wie und wo sehen Sie ES in der zukünftigen europäischen Forschungspolitik verankert, z.B. in CSF, ARTEMIS 2 und ITEA 3?
Diese drei Programme adressieren unterschiedliche Reifegrade von Technologien. ITEA zielt auf Projekte, die relativ nah an der industriellen Verwertung sind, während sich FP7, und das zukünftige Common Strategic Framework (CSF), eher mit Vorlaufforschung beschäftigen. ARTEMIS liegt zwischen beiden Ansätzen. Dies beinhaltet u.a. die Vorbereitung von Standardisierung und die Weiterentwicklung von Technologien zur industriellen Reife.

Zukünftig wird vor allem der Beitrag zur Bewältigung von gesellschaftlichen Herausforderungen für Forschungsprojekte von entscheidender Bedeutung sein. Die technischen Möglichkeiten gehen in Richtung zunehmend vernetzter und offener Systeme. Daraus ergibt sich eine neue Herangehensweise zur Förderung und industriellen Umsetzung von Ideen. Wir müssen die Dinge in Zukunft verstärkt gesellschafts- und weniger industriezentrisch sehen. Die großen, offenen Systeme werden nicht mehr nur für eine einzige Anwendung konzipiert sein, sondern einsetzbar über verschiede Anwendungsdomänen hinweg.

Konkret bei der Ausarbeitung des Nachfolgeprogramms von FP7, CSF, sehe ich die Gefahr, dass die Vorlaufforschung, die bisher in den Funding Schemes STREP und IP realisiert wird und auch Vorarbeiten zu den Programmen ITEA und ARTEMIS leistet, zu stark reduziert werden könnte. Der europäische Vorsprung, der auch mit Hilfe von guter Vorlaufforschung möglich wurde, droht verlorenzugehen. In Deutschland haben wir dafür die DFG, aber auf europäischer Ebene scheint diese Förderung nicht mehr vorgesehen zu sein. Obwohl gerade hier Industrie und Forschungseinrichtungen zusammen eine Grundidee vorantreiben können. Programme wie ARTEMIS und ITEA sind auf die Entwicklung solcher Grundideen nicht ausgerichtet. Bei diesen Programmen müssen die Basiskonzepte stehen, denn die Zeit ist zu kurz bemessen, um mit einem großen Konsortium eine neue Idee zu erarbeiten. ARTEMIS und ITEA unterstützen eher Innovationsprojekte.


Welche Rolle werden Cyber-Physical Systems (CPS) in Forschungsprogrammen zu ES spielen?
Derzeit werden CPS unter zwei verschiedenen Definitionen betrachtet. Auf der einen Seite die deutsche Sicht, die stark von acatech favorisiert wird, welche sich hauptsächlich auf Software-intensive Systeme bezieht. Auf der anderen Seite die US-amerikanische Sicht, welche sich wahrscheinlich international durchsetzen wird, die sich hauptsächlich mit der Robustheit von unsicher vernetzten Systemen beschäftigt. Hierzu wird dringend Vorlaufforschung für ARTEMIS benötigt. CPS sollte daher definitiv ein Thema von CPS werden.


Welche Punkte sollten europäische Forschungsförderinstrumente wie ARTEMIS und ITEA2 berücksichtigen, um große Projekte, an denen viele Partner aus verschiedenen Ländern beteiligt sind, erfolgreich durchführen zu können?
Für das Gelingen von großen europäischen Projekten sind drei Bereiche besonders wichtig: die Sicherung der Projektkoordinierung, die Vereinheitlichung von länderspezifischen Richtlinien und die Abstimmung zu Verfahren und Methoden vor Projektbeginn. Zur Projektkoordinierung: Eine 100%-Förderung der Koordinierungskosten, die auf EU-Ebene aus gelagert werden könnte, ist eine Möglichkeit, um das Projektmanagement zu vereinfachen und die Koordinierung zu gewährleisten, auch im Falles eines Ausstiegs von Partnern auf Grund der Beschränkung von Länderbudgets. Denn die teilweise sehr große Schere zwischen Länderbudgets und Projektanträgen sowie die nationalen Länderbestimmungen machen die Förderung häufig recht unsicher. So kommen wir zum zweiten Punkt, den national unterschiedlichen Richtlinien. Diese führen, z.B. bei der Mindestbeteiligung von Industriepartnern, zu sehr heterogen Projektkonsortien. Mit stark divergierenden Richtlinien und Länderbudgets erhöht sich das Risiko für alle Projektpartner, aber besonders für jene aus Ländern, in denen eher wenige Projekte gefördert werden, wie z.B. in Deutschland. Für diese Partner besteht die Gefahr der Abwanderung von Ideen in Projekte, aus denen man sich aufgrund nicht vorhandener Förderung zurückziehen muss. Eine Gegenmaßnahme wäre, keine Projekte zu fördern, die nur in einem kleinen Teil der beteiligten Länder bewilligt werden und bei denen der Koordinator nicht gefördert wird. Langfristig sollte auf politischer Ebene Einigkeit über ähnliche Förderrichtlinien erreicht werden.

Bezüglich der Inhalte von F&EProjekten sollte Konsens über Grundlagentechnologien bei den Partnern herrschen, sonst droht das Projekt auseinander zu laufen. Wie bewerten Sie das dreiteilige Modell bei Förderinstrumenten, d.h. mit Beteiligung von EU, Nationalstaaten und Industrie, wie es in ARTEMIS umgesetzt wird? Der Anreiz, der von der EU ausgeht ist sehr gut und die dreiteilige Projektform hat sich in der Vergangenheit bewährt. Aber es gibt noch Möglichkeiten für Verbesserung. Dazu gehört, bürokratische Hürden abzubauen, die entstehen, wenn europäische und nationale Regeln beachtet werden müssen, die nicht immer widerspruchsfrei sind. Außerdem sollten zum Ausgleich von nationalen und europäischen Interessen Projekte ermöglicht werden, die aufgrund des thematischen Schwerpunkts nur in einzelnen Staaten angesiedelt sind. Die Vorstellung, dass viele Europäer an einem bestimmten Thema interessiert sein müssen, ist für bestimmte Ideen nicht förderlich.


In der Forschung beschäftigen Sie sich mit ES-Entwurf und -Architektur. Welche neuen Architekturprinzipien sehen Sie?

Bei Architekturprinzipien im Sinne von Eigenschaften werden Fortschritte vor allem im Bereich Mixed Criticality, Robustheit, Systemautonomie und Interoperabilität für zukünftige Systeme benötigt. Für Architekturprinzipien im Sinne mathematischer, formaler Anforderungen wird die Systemkomposition immer entscheidender. Die formale Komposition wird künftig eine zweite Säule neben dem Test bilden, denn die Systeme gewinnen an Komplexität und öffnen sich für Kommunikations- und Vernetzungsformen, wie z.B. das Internet. Dadurch können kaum noch alle Systemeigenschaften mit einem abschließenden Test geprüft werden und man muss sich sehr viel stärker auf die Komposition verlassen können. Die Systeme werden aus Komponenten bestehen, die nach Bedarf „zusammengesteckt“ werden und Schlussfolgerungen über das Verhalten des Gesamtsystems zulassen, ohne das von Grund auf neu getestet werden muss. Diese Art der Kompositionalität wird entscheidend für die Systemintegration sein.

Vielen Dank für das Gespräch

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